Sehr geehrte, liebe Festgäste!
Anlässlich der heutigen Verleihung des Montessori-Preises an die „Montessori-
Gesellschaft Halle (Saale)“ bin ich um eine Laudatio gebeten worden – eine
Würdigung der „Verdienste um die Verbreitung der Montessori-Pädagogik in
Halle an der Saale unter besonderer Berücksichtigung der Zusammenarbeit mit
dem Altenpflegeheim in den Fanckeschen Stiftungen (dem ‚Haus der
Generationen‘)“ .Der Bogen dieses Projektes ist weit gespannt. Die Besonderheit besteht darin,
dass nicht nur seit Beginn der Reformschule „Maria Montessori“ im Jahre 1992
sozialintegrativ (heute heißt es inklusiv) gearbeitet wurde. Im Rahmen der
Sanierung der Franckeschen Stiftungen entstand in Kooperation mit der Paul-
Riebeck-Stiftung (dem Träger des Altenheimes) ein „intergenerationelles
Modellvorhaben“, das „Haus der Generationen“.Der zusammenhängende Gebäudekomplex ermöglicht ein „miteinander in
Kontakt kommen und interagieren“. Es entstand so „ein gemeinsamer
Lebensraum, der die Grundlage dafür bietet, das Miteinander der Generationen
einzuüben“. Nach Vermögen und Befindlichkeiten können sich die Senioren in
das Schulleben, den Schulalltag der Kinder einbringen gemäß dem
gemeinsamen Motto: „Miteinander leben, voneinander lernen, einander
achten“.Hinter diesem sozial-integrativen und intergenerationellen Projekt stehen Menschen, die es im Rahmen der eigens gegründeten „Montessori-Gesellschaft Halle“ geplant, in Angriff genommen und ausgeführt haben. Ihnen und den jungen und alten Menschen, die dieses Projekt mit ihrem Leben erfüllt haben, gilt heute ein Dank, der durch den Preis ausgedrückt werden und anerkannt werden soll.
In meiner Würdigung Ihrer Arbeit und Verdienste möchte ich auf Einzelheiten in den zurückliegenden 20 Jahren verzichten. Ich möchte den Spuren folgen, die Sie selbst in zwei Interviews gelegt haben.
Das Interview, das anlässlich des 10jährigen Schuljubiläums 2002 mit den Gründungsmitgliedern, dem Ehepaar Buchenau, geführt wurde, befasst sich
neben einem kurzen Rückblick auf die Schulgründung und -entwicklung mit der zentralen Frage: „Was waren die Beweggründe für die Gründung einer solchen Schule?“. Einen zentralen Raum sollte die aus dem Evangelium begründete „soziale Kompetenz“ einnehmen, die auch die Aufnahme der „sozialen Integration“ in das Schulkonzept und Schulleben begründete (und in der Folge ja auch die Aufnahme des intergenerationellen Modells).Den Mut zu diesem pädagogischen Weg holten Sie aus der Hoffnung: „Wir hatten nichts. Kein Haus, keine Ahnung von Verfahrensfragen, kein Geld, aber
wir hatten eine Idee und eine Hoffnung … Es ging und geht um die Kinder.“ Und dann wird im Interview das, was anthropologisch-pädagogisch intendiert ist, biblisch-spirituell ausgeleuchtet, transparent gemacht: – “ … die andere Sicht des Kindes. Und die andere Sicht des Erwachsenen. Für mich (so Frau Buchenau) ist das intendiert bereits in dem, was uns Matthäus 18 über das
Lehrgespräch Jesu mit seinen Freunden, seinen Schülern erzählt.“ – Das Kind als Maß für das Erwachsenenverhalten – das „kehrt unser Erwachsenendenken völlig um.“Und so heißt es auf die Frage des Interviewers „Was ist evangelisch an dieser Schule?“: Religion ist integriert, passiert in dem gesamt pädagogischen Prozess“: dass Kinder wählen dürfen; welches Stück Welt sie sich erschließen, dass „Kinder lernen, Unterschiede untereinander wahrzunehmen“ und daraus den Umgang positiv gestalten, „denn dort setzen Kinder und Erwachsene das Evangelium von der Versöhnung um.“ Quasi zusammenfassend stellt Pfarrer Buchenau 2002 fest: „Es gab ein Denken in der Hoffnung, die Gestalt gewinnen wollte.“
Die Interviews der Schüler in der Festschrift von 2012 beschreiben so etwas wie Gestalt gewordene Hoffnung in ihrem jeweils eigenen Leben. Die zentrale
Interview-Frage „Was war und was ist ihnen geblieben?“ führt zu einem interessanten Ergebnis – eine Bestätigung und Wertschätzung des
Bildungsangebotes in der zurückliegenden Schulzeit in zentralen Bildungsbereichen:– die hohe Wertschätzung der Freiarbeit, die Selbstständigkeit bewirkte,
das Miteinander im Umgang mit Menschen – die Umgangskultur, „meine
Art im Umgang mit Menschen“.– „Das Lernen von Toleranz, das eine hohe soziale Kompetenz bewirkt
durch die Annahme und Akzeptanz von Menschen, die in
unterschiedlicher Weise ‚anders‘ sind“ – „dass auch beeinträchtigte Kinder
normale Kinder sind“.– Die Wertschätzung der erfahrenen und wahrgenommenen
Persönlichkeitsbildung und deshalb – unverhältnismäßig häufig
ausgedrückt – die durchgängig hohe Ablehnung von Benotungen: „man
soll sich nicht auf seine Noten reduzieren lassen.“Mit dem Blick auf die pädagogisch verankerte religiöse Bildung haben zwei
Schüleräußerungen einen hohen Erkenntniswert: Eine Schülerin aus der
Gründungszeit stellt fest: „Da ja auch im evangelischen Glauben das
Miteinander und das Hilfsbereite eine große Rolle spielen, kann ich mir
vorstellen, dass dies auch die Schulform geprägt hat.“ Weiter heißt es bei ihr:
„Die Art des Umgangs mit Menschen und wie wir in der Montessori-Schule
zusammengearbeitet haben mit den Lehrern – das hat bestimmt ein wenig
dazu beigetragen, wie ich heute bin.“Ein anderer Schüler äußert sich zum Stellenwert des Religiösen in der Schule:
„…ich kann sagen, dass es durch die Atmosphäre praktiziert wurde … Es
wurde Kirche gelebt.
Keiner wurde ausgegrenzt. Inklusion und Integration sind
da die Stichworte.“
Vor dem beschriebenen Hintergrund Ihrer bisherigen pädagogischen Arbeit auf
dem christlichen Boden von Wagnis und Hoffnung ist es nicht verwunderlich,
dass Sie auch den weiteren Schritt in die individuelle und gesellschaftliche
Zukunft gegangen sind: – die „Vision eines einvernehmlichen Zusammenlebens
von Alt und Jung im ‚Haus der Generationen‘ zu gestalten, wie es in der
entsprechenden Broschüre heißt.Der Gebäudekomplex, die „Architektur der Gesamtanlage soll ganz explizit
einer vielfältigen Symbiose von Jung und Alt“ dienen. Innerhalb und außerhalb
der Gebäude können Räume gemeinsam genutzt werden, sodass ohne viel
Aufwand Kontakte gepflegt werden können, „aber auch Ruhe und Individualität
jederzeit möglich sind“. In der Broschüre „Haus der Generationen“ werden
Felder des Zusammenwirkens ausgewiesen – etwa „Ergänzungsangebote oder
den Unterricht begleitende Aktivitäten“. Ein integrierter Werkhof ermöglicht
„eine gemeinsame Nutzung durch Kinder und handwerklich interessierte
Bewohner“ des Altenheimes.Die „Lebensart in familiären Hausgemeinschaften“ und der Kontakt mit den
Kindern schaffen „soziale Berührungspunkte“ der Generationen. Dies schafft
ein bewusstes Miteinander und „trägt dazu bei, im hohen Alter integrativ zu
leben“. Von der individuellen und der gesellschaftlichen Bildungsrelevanz eines solchen
intergenerationellen Zusammenlebens heißt es in der kleinen Schrift –
sozusagen zusammenfassend:
„Durch den Kontakt mit den alten Menschen sollen die Kinder eine Weitsicht
erfahren können, die das Endliche im Leben angemessen einbezieht und
begreifen lässt. Indem sie von den Alten lernen – die zum Beispiel
handwerkliches Wissen und Können im direkten Kontakt vermitteln – wird die
Lebensleistung der Älteren für die Kinder unmittelbar erfahrbar. Achtung vor
dem Alter und vor alten Menschen – in vielen anderen Kulturen tief verwurzelt
– wächst auf diese Weise ganz natürlich.“Die Zitate sind folgenden Schriften entnommen:
– Montessori-Gesellschaft Halle e. V. (Hg.):
10 Jahre Reformschule „Maria Montessori“. Halle (Saale).
Festschrift zum 10jährigen Bestehen der Montessori –
Schule Halle Saale. Halle (Saale 2002)– Montessori-Gesellschaft Halle e. V. (Hg.):
Schüler erzählen von ihren Erfahrungen. Zwanzig Jahre
Montessori-Schule Halle. Evangelische Grundschule mit
Integration. Halle (5) 2012– Wohlfahrt, M./ Fritschek, A./ Müller-Bahlke, Th. (Hg.):
Das Haus der Generationen in den Franckeschen
Stiftungen zu Halle. Montessori-Schule und
Altenpflegeheim unter einem Dach. Halle (Saale oJ.) Broschüre
Preisverleihung des Deutschen Montessori-Preises 2013
Heute wurde uns der Deutsche Montessori-Preis 2013 durch Frau Prof. Holtstiege überreicht. Dabei hielt die Gründerin der Montessori-Stiftung eine Laudatio, die wir hier gerne wiedergeben wollen: